Direkt zum Hauptbereich

When the ship comes in

Als ich am Sonntag morgen aufwache und an das Spiel der Eintracht gestern in M1 denke, fällt mir zuerst die Geschichte ein, die wir gestern im Bus bei der Anfahrt zum Stadion erlebt haben.

Neben mir steht ein kleines Mädchen, vielleicht zehn, elf Jahre alt, das gerade seiner Freundin erklärt, warum die Busse so voll sind. „Die Frankfurter spielen heut gegen die Mainzer. Das wird was...“ Und dann weiter: „Die kommen mit dem Schiff. Und am Hauptbahnhof geben sie vor dem Spiel noch Autogramme.“ Stutz. Da muss ich doch mal nachhaken. „Wer kommt mit dem Schiff?“ „Na, die Frankfurter Mannschaft.“ „Nee, nee. Das hast du falsch verstanden – das sind die Fans, die kommen mit dem Schiff. Die Mannschaft is jetzt schon längst im Stadion.“ Nein, sie beharrt darauf: „Die Mannschaft kommt mit dem Schiff. So hat’s in der Zeitung gestanden.“ Na dann. Und die Vorstellung hat doch was – man stelle sich vor: Der Eintracht-Dampfer mit gehisster Ader-Flagge legt am Rheinufer an, an der Reling lehnen Franz, Ochs, Schwegler, Meier. Die Mannschaft wird zum Hauptbahnhof gebracht, wo sie von Tausenden von Eintrachtlern enthusiastisch begrüßt und im Triumphzug nach oben zum Bruchweg geleitet wird. Da staunt er, der Mainzer.

Vorläufig sind wir noch nicht so weit. Stattdessen treffen wir uns vor dem Stadion mit Freunden. Ja, 05er. Ja, so ist das halt, wenn man als Eintrachtler in Mainz lebt. Zwei dieser Freunde überlassen uns für heute je eine ihrer Dauerkarten. Das ist sehr nett. Kein Wort über das bevorstehende Spiel – wir haben gelernt, bestimmten Themen aus dem Weg zu gehen. Einer erklärt mir, dass es zu den Bruchweg-Ritualen gehört, scheinbar überlegene Mannschaften mit „Und ihr wollt Hansa Rostock sein?“ zu besingen. Das sei also kein speziell auf die Eintracht gemünztes Lied. Das beruhigt mich.

Vor drei Jahren habe ich mich bei der Einlasskontrolle mit völlig überforderten Ordnern herumgestritten und mich geweigert mein Eintracht-Tour-Shirt auszuziehen. Dank der Unterstützung eines 05er-Freundes konnte ich das Spiel zwar stinkwütend und elend, aber immerhin vollständig bekleidet anschauen. Heute bin ich ohne Adler, aber mit rotundschwarzem Shirt, rotundschwarzen Ringelsocken und rotundschwarzem Eintracht-Bändchen trotzdem eindeutig identifizierbar, werde aber einfach und fast freundlich durch gewunken. Mein Mit-Adler hat sein Taschenmesser im Auto gelassen – haha - daran hätten sie ja ganz bestimmt gemerkt, dass sie es mit einem Asso-Frankfurter zu tun haben.

Der Bruchweg gehört zu den Stadien, in denen es – neben den beiden Fanblocks in den Kurven – zusätzliche Stehblocks auf der Gegengerade, direkt neben dem Gästeblock gibt. Dort stehen eng an eng ausschließlich Mainzer Dauerkarten-Inhaber. Und heute auch wir. Beste Sicht aufs Spielfeld, nahe Mittelkreis, nur ein paar Meter entfernt vom Geschehen. Eigentlich optimal. Irgendwie.

Mitgehangen, migefangen. Hier sind wir nun mal und da gibt es während des Vor-Dem-Spiel-Gedöns nur eins: Zähne zusammen beißen. „Yoooooouuul never walk alone“ singt das Stadion, singen die 05er um uns her und halten ihre Schals in die Höhe. Peinlich. Schließe die Augen, blende das Bild aus. „Im Herzen von Europa“ singt es in mir. „Eintracht vom Main.“ Und: „Du sollst heute siegen!“ Kommen jetzt endlich die Mannschaften? Nein, immer noch nicht. Ein monoton anschwellender Klatschrhythmus klingt aus den Lautsprechern und wird von Stadionsprecher Klaus Hafner dazu genutzt, die Zuschauer zu animieren. Noch mal. Noch mal. Nervtötend. Das finden auch die umstehenden 05er und intonieren „Wir ham die Schnauze voll, wir ham die Schnauze voll...“ Gelächter. Sie sind halt lustig. Immer und unter allen Umständen.

Endlich. Anpfiff. Die Sonne hat jetzt das Stadiondach erreicht und scheint schräg auf die Gegengerade. Das wird heiß.


Bitte, liebe Eintracht, richte ich ein kurzes Stoßgebet Richtung Himmel. Hier stehe ich, mitten unter lauter 05ern. Bitte, bitte tut mir den Gefallen. Bitte nehmt dieses Spiel ernst. Bitte lasst uns hier nicht wie Idioten im Regen bzw. in der Sonne stehen. Die Mannschaft scheint verstanden zu haben und nimmt von Beginn an das Heft in die Hand. Obwohl längst nicht alles klappt, sind wir spielerisch deutlich überlegen. Die Mainzer wirken überhastet und unkonzentriert. Fast folgerichtig fällt bereits nach einer Viertelstunde das 1:0. Meier. Ja. Ja. Ja. Der Eintracht-Block neben uns jubelt, wir jubeln mit. „Toooor. Tooooooor!“ In „unserem“ Block ernten wir erstaunte Blicke. Ja, klar – wir sind Eintrachter. „Macht ja nichts“, werden wir beschieden. Wir sind wohl vertrauenerweckend. Und deswegen nutzen die älteren Herrschaften vor und neben uns in den kommenden 70 Minuten die Gelegenheit, um uns zu erklären, warum man die Eintracht und ihre Fans in Mainz nicht mag: Sie sind brutal, verschütten Bier und ihr Chef heißt Franz. Alles Assos. Ach so. Das freut mich. Ehre, wem Ehre gebührt.

Die kräftige Frau im weißroten 05er-Shirt, die vor mir steht, sieht genau so aus wie man sich e echt Meenzer Mädsche vorstellt. "Wisse se" sagt sie, wie um ihrer Meinung Nachdruck zu verleihen. "Wisse se, isch geh jetzt schon seit über 30 Jahr hier ruff." Glaub ich nicht, glaub ich nicht. Aber genug geschwätzt jetzt. Katastrophaler Abwehrfehler der Mainzer. Meier spitzelt den Ball zum 2:0 ins Tor. Geballte Faust. Ja. Yep. Hey, was geht ab. In uns keimt die Hoffnung auf, dass wir hier einen Kantersieg einfahren. Das wär’s. Minuten später hat Alex sogar das 3:0 auf dem Fuß. Macht nix. Weiter, weiter. Aber irgendwie lassen wir jetzt die Zügel schleifen. Viele unnötige Ballverluste. Und dann ist da auch noch der Oka-Faktor, der sich bis nach Mainz herumgesprochen hat. „Gegen Oka kann man’s mal probieren“ intonieren sie um uns her, als unser Torwart, der heute nicht seinen besten Tag erwischt hat, auf der Suche nach dem Ball durch den Strafraum irrt.

Na gut – dann überollen wir sie also nicht. Aber die drei Punkte nehmen wir mit. Basta. Mit einem 2:0 Vorsprung kann eigentlich nicht mehr viel schief gehen heute. Denkste. Nur noch Sekunden bis zur Halbzeit. Noch ein Freistoß für die 05er, ca. 30 Meter vor dem Tor. Bancé legt sich den Ball zurecht. „Der schießt den direkt – des bringt doch nix.“ Höre ich hinter mir. Bancé läuft an, zieht kraftvoll ab – ein Eintracht-Kopf ist noch dazwischen, der Ball fliegt über Oka, kracht an die Latte, ist drin. Tor. Und in den Jubel um uns her mischt sich die Stimme von eben: „Hab ich’s doch gleich gesacht – der haut den rein.“ Wie gesagt: Immer lustig.

Mit dem Narhallamarsch verschwinden die Mannschaften in die Kabine und Ich lasse mich auf die Treppenstufen sinken. Die Sonne steht jetzt direkt über uns. Mann ist das heiß. Über dem Stadion kreist ein Luftschiff. Das kleine Mädchen aus dem Bus würde wahrscheinlich denken, dass „die Frankfurter“ jetzt Verstärkung einfliegen.

Die zweite Halbzeit beginnt wie erwartet. Der Anschlusstreffer hat die Mainzer in die Spur gebracht, sie wirken jetzt entschlossener, sind aggressiver. Wir halten nicht richtig dagegen, Konfusion in der Abwehr. Fast mit Ansage erzielt der bis dahin schwache Simak den Ausgleich (zwei Minuten vor dem Treffer bei einem Simak-Ballverlust– Stimme von links: „Warum der DEN immer noch uffstellt…“. Nach dem Tor, Stimme von rechts: „Seeeeehnse – deshalb!“)


Mmh. Und jetzt? Viel läuft nicht mehr bei uns. Irgendwann wird sicher noch ein Ball auf den Kopf von Bancé fallen („Hinein, hinein!“ intonieren die Mainzer um uns herum. Und: "Allez Bancé!" Und: "Helau, Helau!" bei jedem Fehlpass der Eintracht) – was e Elend. Erneuere mein Stoßgebet. Bitte nicht! Bitte, liebe Eintracht. Und dieses Mal ist es Ümit Korkmaz, der mich erhört. Statt zwanzig Meter vor dem Tor noch einmal einen der ohnehin nur mühselig nachgerückten Mitspieler zu suchen, zieht er ab. Tatsächlich – Tor. Tatsächlich. Tor. Wir führen wieder. Jetzt ist uns zumindest ein Punkt sicher. Denn es kommt wie es kommen muss. Hoher Ball. Strafraum. Kopf. Drin. Ich mag den nicht, nein, ich mag den nicht.

Narrhallamarsch. Schlusspfiff. Die Sonne steht jetzt schräg und knallt direkt von vorne auf uns. Die Mannschaft kommt in die Kurve. Die Jungs hängen an den Wasserflaschen und haben nur eine Hand frei, entsprechend matt fällt der Jubel aus. Will jetzt nur noch raus und muss, muss, muss etwas trinken, sonst kippe ich aus den Latschen. Die Stimmung im und ums Stadion ist entspannt. Alles gut. Leistungsgerechtes Unentschieden nennt man das wohl. Oder um noch einmal einen der lustigen Mainzer zu Wort kommen zu lassen: „Praktisch wie e 0:0. Nur mit sechs Toren.“ Stimmt. Warum hab ich mich vorher eigentlich so aufgeregt?

Kommentare

  1. Liebe Kerstin,das ist wieder ein toller Bericht.Hatte auch während des Spiels nur einen Wunsch.Bitte Bitte liebes Team ich verzeihe euch alles aber bitte bitte heute nicht verlieren.

    AntwortenLöschen
  2. Danke für den tollen Bericht, liebe Kerstin.

    Mehr fällt mir gerade nicht ein, bin momentan so ein bisschen sprachlos irgendwie...

    War einfach schade, dass wir dieses Spiel nicht gewinnen konnten nach 2 x Führung.

    Liebe Grüße
    Nicole

    AntwortenLöschen
  3. Danke, Kerstin. Und ich mag den auch nicht. Was ich von dem halte, habe ich mehrmals mit einem nicht druckreifen Wort am GD direkt vor dem Spiel in der Hinrunde gesagt.

    Gruß vom Kid

    AntwortenLöschen
  4. Sehr schöne Nachbetrachtung von dem Spiel am Samstag.
    Vielen Dank-wie immer sehr schön.
    Das Spiel hätte gewonnen werden können(müssen)-aber egal,Hauptsache nicht verloren.
    Übrigens mag ich den Bance-überhaupt nicht-er ist mir total unsymphatisch-weiss nicht warum-weiss nur-dass er jedesmal sein Schweissband ins Publikum hält-wenn er ein Tor erziehlt.
    Würde ich noch verstehen-wenn es ein Mainzer Logo drauf hätte-aber so-einfach unverständlich-ist ein BL-Spiel und kein Länderspiel.*Lächerlich*
    LG
    (B).

    AntwortenLöschen
  5. Danke, Kerstin. Toller Bericht, grandioser Titel & eines der wirklich großen Lieder des Meisters:

    "And the rocks on the sand / Will proudly stand / The hour that the ship comes in"

    Ein Genuß, beides, immer wieder!

    Viele Grüße & weiterhin sichere Straßen,
    Fritsch.

    AntwortenLöschen
  6. Den großen närrischen Asso-Orden am Band haben wir dieses Jahr vorläufig zum letzten Mal bekommen. Jetzt sind die Lauterer wieder dran und gegen die sind wir ja assomäßig gar nichts! Um da vornezu bleiben müssten wir nächstes Jahr ordentlich drauflegen:

    Und ein Schiff mit acht Segeln
    Und mit fünfzig Kanonen
    Wir beschießen die Stadt

    AntwortenLöschen
  7. Danke fürs Lesen und für eure ganz und gar nicht sprachlosen Kommentare. Der ist doof. Und die auch. Und jajaja, das Lied, dessen Titel ich für meinen Eintrag geklaut habe, ist großartig. O Himmel, strahlender Azur!

    Danke schön!

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Beliebte Posts aus diesem Blog

Die nächste Strophe vom alten Reisbrei

Am Samstagabend höre ich im ZDF Sportstudio die Vorankündigung für das Spiel am Sonntag im Waldstadion. „Hannover kann morgen auf den zweiten Tabellenplatz vorstoßen“, verkündet Katrin Müller-Hohenstein. Tatsächlich? Was Sie nicht sagen. Und die Eintracht? Hey – hallo, das ist unser Heimspiel, und wir werden es gewinnen, weil nämlich dann wir es sein werden, die zu Hannover und zur Spitzengruppe aufschließen. Capisce? Und tatsächlich. So machen wir es. Impressionen vom Spiel: Patrick Ochs, der in der ersten halben Stunde auf der rechten Seite herum mannövert als habe er tatsächlich vor, was er vorher verkündet hatte: Sich festbeißen – und von dem in der zweiten Halbzeit nichts mehr zu sehen ist. Halil Altintop, der (auch in seinem eigenen Sinn) zur Halbzeit hätte ausgewechselt werden müssen, und von seinem Trainer, der voll hinter ihm steht, eine viertel Stunde vor dem Ende zum Abschuss freigegeben und – sichtlich um Fassung bemüht – regelrecht vom Platz gepfiffen wird. (Ja, ja.

Kleines Fußball-ABC - Heute "U" wie "Unterschiedsspieler"

Unterschiedsspieler, der (pl. (selten die); fußballneudeutsch für einen Spieler, der – wie der Name schon sagt – den Unterschied machen und ein Spiel entscheiden kann. Bsp .    → Rebic, Ante (Eintracht Frankfurt) , der in der ersten Runde des DFB-Pokals 2019/20 “ den aufmüpfigen Drittligisten Waldhof Mannheim quasi alleine in die Knie zwang. “ In der Regel ist der → Unterschiedsspieler ein Offensivspieler, aber auch Defensivspieler „mit einer starken Technik und einem guten Gespür für Räume imOffensivspiel“  können Unterschiedsspieler sein  -   Bsp.   → Baumgartner, Christoph TSG Hoffenhei m) , → Kimmich, Joshua (FC Bayern München) oder  →Kostic, Filip (Eintracht Frankfurt), der für seinen Trainer →Adi Hütter derzeit „der absoluteUnterschiedsspieler“ ist. Auch Torhüter  können den Unterschied machen ( Bsp. Neuer, Manuel, FC Bayern München ), was als Beleg dafür gelten kann, dass auch Spieler, die nicht der Mannschaft von →Eintracht Frankfurt angehören, →Unterschiedsspieler sein kö

Hans-Dieter "Fips" Wacker - ein Fußballerleben

Es ist ein paar Monate her, dass ich für diesen Blog im „Kleinen Fußball-ABC“ einen eher satirisch gefärbten Beitrag zum Thema  Nachwuchstalente verfasst habe. Es war Kid Klappergass, der das Thema in einem Kommentar in ernsthaftere Bahnen führte: Es gebe nicht viele große Eintracht-Talente, denen er nachtrauere, aber eines davon sei ganz gewiss Fips Wacker. Fips Wacker? Diesen Namen hatte ich noch nie gehört und machte mich auf die Suche nach ein paar Informationen. Es war nicht viel, was ich im Netz aufstöbern konnte – aber was ich fand, machte mich neugierig. Die „Spur“ führte zum Heimatverein von Fips Wacker, der SKV Büttelborn und wie es der Zufall so will: Einige Wochen später sollte in Büttelborn ein Spiel der Alten Herren – der  Old Boys   gegen die Eintracht-Traditionsmannschaft ausgetragen werden. Wenn für Hans-Dieter Wacker alles so gelaufen wäre, wie es hätte laufen können, hätte er in diesem Spiel vielleicht eine Halbzeit lang für die Eintracht und eine für den SKV auf de